Fachbeitrag

Ukraine-Krieg und Sanktionen – Preisanpassungen in bestehenden Verträgen?

Der Krieg in der Ukraine und Sanktionen gegen Russland sorgen insbesondere bei Baustoffen nicht nur für Lieferschwierigkeiten. Sie führen auch zu steigenden Preisen.

Steigende Preise werden über kurz oder lang an den Endkunden weitergegeben. Das trifft bei neuen Ausschreibungen auch öffentliche Auftraggeber. In schon bestehenden Auftragsverhältnissen sind die Parteien aber grundsätzlich an vereinbarte Preise gebunden. Viele Auftragnehmer stehen deshalb vor der Frage, ob gestiegene Kosten nicht doch teilweise an den Auftraggeber weitergegeben werden können.

Vertrag ist Vertrag, oder doch nicht?

Grundsätzlich gilt: Abgeschlossene Verträge sind auch bei steigenden Preisen einzuhalten. Das Risiko steigender Preise, das „Kalkulationsrisiko“, trägt dabei der Auftragnehmer.

Gilt dieser Grundsatz immer, ohne jede Ausnahme? Nein! Fälle höherer Gewalt wie der Ukraine-Krieg können zu einer „Störung der Geschäftsgrundlage“ eines Auftrages führen.

Regelungen zur Störung der Geschäftsgrundlage enthält § 313 Abs. 1 BGB. Nach dieser Vorschrift kann die Anpassung eines Vertrages (und seiner Preise) verlangt werden, wenn

  • sich die Umstände, die zur Grundlage des Vertrages geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend geändert haben,
  • die Parteien den Vertrag nicht oder mit einem anderen Inhalt geschlossen hätten, wenn sie diese Änderungen vorausgesehen hätten und
  • einem Vertragspartner ein Festhalten am Vertrag im konkreten Einzelfall nicht zumutbar ist.

Das sind hohe Voraussetzungen, die bislang von Auftraggebern und Gerichten nur in seltenen Ausnahmefällen anerkannt wurden.

Aber: Erleichterungen für bestimmte Baustoffe

Für bestimmte Baustoffe wie zum Beispiel Stahl, Aluminium, Erdölprodukte, Zement und Holz wurden wegen extremer Preissteigerungen Sonderregelungen erlassen. Insbesondere ein Erlass des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen vom 25.03.2022, verlängert durch Erlass vom 22.06.2022, enthält dabei auch Hinweise zu Anpassungsmöglichkeiten bestehender Verträge.

Nach Auffassung des Ministeriums ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Kriegsereignisse in der Ukraine die Geschäftsgrundlage eines Vertrages stören können. Die Parteien hätten den Vertrag nicht mit den gleichen Preisen abgeschlossen, wenn sie von den kriegsbedingten Preisentwicklungen gewusst hätten. Die ersten beiden Voraussetzungen des § 313 Abs. 1 BGB lägen deshalb oftmals vor.

Schwieriger sieht es bei der dritten Voraussetzung nach § 313 Abs. 1 BGB aus.

Festhalten an Vertragspreisen unzumutbar?

Kann einem Unternehmen das Festhalten an den vereinbarten Preisen zugemutet werden?

Ein Festhalten an den Vertragspreisen soll zumutbar sein, solange die sogenannte „Opfergrenze“ nicht überschritten wird. Das soll der Fall sein, wenn die Beschaffungskosten um Werte zwischen 10 und 29 Prozent steigen. Bezugsgröße ist der Gesamtwert des abgeschlossenen Vertrages.

Auftragnehmer muss Voraussetzungen eines Preisanpassungsanspruchs nachweisen!

Eine Preisanpassung muss der Auftragnehmer beantragen. Er muss die Voraussetzungen eines Preisanpassungsanspruchs nachweisen.

  • Um die ursprünglich (vor Kriegsbeginn) kalkulierten Kosten nachzuweisen, muss regelmäßig die Urkalkulation offengelegt werden.
  • Auch die tatsächlich anfallenden, neuen Einkaufskosten müssen zur Berechnung der Kostensteigerung nachgewiesen werden, etwa durch Vorlage von Lieferantenrechnungen. Dabei muss der Auftragnehmer versichern, dass er keine etwaigen Rückvergütungen oder Rabatte erhält.
  • Der Auftragnehmer muss zuletzt nachweisen, dass die von ihm zu zahlenden, teureren Preise marktüblich sind. Dafür sind Vergleichsangebote vorzulegen.

Fazit

Für bestimmte Baustoffe sind Preisanpassungen wegen extremer, kriegsbedingter Preisanstiege derzeit gut begründbar. Weil die Sonderregelungen der Bundesministerien allgemeine Ausführungen zur Rechtslage enthalten, sind sie jedoch nicht auf Bauaufträge und die genannten Materialien beschränkt. Sofern die Voraussetzungen des § 313 BGB vorliegen, können auch für Liefer- und Dienstleistungsaufträge Preisanpassungsverlangen begründet werden.

Autor

Dr. Joachim Ott, LL.M. ist Rechtsanwalt bei OPPENLÄNDER Rechtsanwälte in Stuttgart. Er berät schwerpunktmäßig im Vergaberecht sowie an den vergaberechtlichen Schnittstellen zum Kartellrecht. Tätig wird er dabei sowohl auf Seiten von Unternehmen, die sich als Bieter an Vergabeverfahren beteiligen möchten, als auch auf Seiten der öffentlichen Auftraggeber. Öffentlichen Auftraggebern hilft er bei der rechtssicheren Gestaltung von Vergabeverfahren. Er führt regelmäßig Verfahren vor den Vergabekammern des Bundes und der Länder, den Oberlandesgerichten und den Gerichten der Europäischen Union. Er ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen zum Vergaberecht und hält regelmäßig Seminare zu vergaberechtlichen Themen. Homepage: https://oppenlaender.de/

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