Fachbeitrag

Nachweise zur Leistungsfähigkeit, Referenzen und Besonderheiten für Start-ups (Teil 1)

Öffentliche Aufträge dürfen nur an „geeignete Unternehmen“ vergeben werden, dies schreibt § 122 Abs. 1 GWB vor. Bei den Eignungsanforderungen handelt es sich um unternehmensgezogene Kriterien.

Ergebnis der Eignungsprüfung ist die Feststellung der Eignung oder der Ausschluss vom Verfahren: Entweder das Unternehmen ist geeignet oder nicht, eine darüberhinausgehende Differenzierung ist grundsätzlich nicht vorgesehen. Das sogenannte »Mehr-an-Eignung« kommt nur dann in Betracht, wenn in einem zweistufigen Verfahren mehr Unternehmen geeignet sind, als der öffentliche Auftraggeber zur Angebotsabgabe auffordern möchte.

Maßgeblich für die Eignungsprüfung sind allein die in der Auftragsbekanntmachung festgelegten Eignungskriterien und die dort für ihren Beleg geforderten Nachweise (§ 122 Abs. 4 Satz 2 GWB). Abweichende Vorgaben in einem Vordruck sind nicht beachtlich.

KG Berlin – Beschluss v. 10.05.2022 – Verg 2/22

Gemäß § 122 Abs. 2 GWB ist ein Unternehmen geeignet, wenn es die durch den öffentlichen Auftraggeber im Einzelnen festgelegten Eignungskriterien erfüllt. Diese dürfen ausschließlich Folgendes betreffen:

  • Befähigung und Erlaubnis zur Berufsausübung,
  • wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit,
  • technische und berufliche Leistungsfähigkeit.

Die vom öffentlichen Auftraggeber zur Überprüfung der Eignung zu stellenden Kriterien müssen mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung und zu diesem in einem angemessenen Verhältnis stehen. Die Einzelheiten sind in § 44 bis 46 VgV bzw. § 6 a VOB/A EU abschließend geregelt.

Befähigung und Erlaubnis zur Berufsausübung

Der öffentliche Auftraggeber kann verlangen, dass Bewerber oder Bieter entweder die Eintragung in ein Berufs- oder Handelsregister beibringen oder auf andere Weise die erlaubte Berufsausübung nachweisen. Die Vorschrift des § 44 VgV (§ 6a EU Nr. 1 VOB/A – EU) enthält nur eine Festlegung derjenigen Nachweise, deren Beibringung der öffentliche Auftraggeber verlangen kann. Der öffentliche Auftraggeber darf nicht inhaltlich nachprüfen, ob der Bieter oder Bewerber die in seinem Niederlassungsstaat geltenden Rechtsvorschriften für die erlaubte Ausübung eines Berufs oder für die Erbringung einer bestimmten Dienstleistung erfüllt. Sofern ein Bieter oder Bewerber die Nachweise beibringt, die der öffentliche Auftraggeber verlangen kann – insbesondere die Handelsregistereintragung – gilt seine Befähigung und Erlaubnis zur Berufsausübung als gegeben!

Wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit

Gemäß § 45 Abs. 1 VgV (§ 6a EU Nr. 2 VOB/A – EU) kann der öffentliche Auftraggeber Mindestanforderungen stellen, die gewährleisten, dass die Bewerber oder Bieter über die erforderlichen wirtschaftlichen und finanziellen Kapazitäten für die Ausführung des Auftrags verfügen.

In § 45 Abs. 4 und 5 VgV sind diejenigen Belege aufgelistet, die der öffentliche Auftraggeber verlangen kann und mit denen der Bewerber oder Bieter seine wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit belegen kann.

Zudem kann gemäß § 45 Abs. 5 VgV auch jeder andere Beleg ausreichen, sofern der öffentliche Auftraggeber ihn für geeignet erachtet, wenn der Bewerber oder Bieter aus einem berechtigten Grund (beispielsweise, wenn es sich um ein gerade erst neu gegründetes Unternehmen handelt), die geforderten Unterlagen nicht beibringen kann.

Technische und berufliche Leistungsfähigkeit

Hinsichtlich der materiellen Anforderungen bestimmt § 46 Abs. 1 VgV, dass der öffentliche Auftraggeber Anforderungen stellen kann, die gewährleisten, dass die Bewerber oder Bieter über die erforderlichen personellen und technischen Mittel sowie über ausreichende Erfahrungen verfügen, um den Auftrag in angemessener Qualität ausführen zu können. Zu beachten ist auch hier, dass Mindestanforderungen in der Bekanntmachung besonders kenntlich gemacht werden müssen.

Im Gegensatz zu § 45 VgV handelt es sich bei den für die technische und berufliche Leistungsfähigkeit zu erbringenden Belegen nach § 46 Abs. 3 VgV um eine abschließende Liste. Die öffentlichen Auftraggeber dürfen im Rahmen der Eignungsprüfung keine anderen Belege für die technische und berufliche Leistungsfähigkeit der Bewerber oder Bieter verlangen (dies gilt im Anwendungsbereich der VOB/A – EU ebenso, vgl. § 6a VOB/A – EU).

Zum Beleg der erforderlichen technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit des Bewerbers oder Bieters kann der öffentliche Auftraggeber gemäß § 46 Abs. 3 VgV je nach Art, Verwendungszweck und Menge oder Umfang der zu erbringenden Liefer- oder Dienstleistungen ausschließlich die Vorlage der dort genannten Unterlagen verlangen.

Streitthema Vergleichbarkeit von Referenzen

Das Verlangen nach Referenzprojekten für „vergleichbare“ Leistungen bedeutet nicht, dass das Leistungsbild der herangezogenen Aufträge mit dem ausgeschriebenen Auftrag identisch sein müsste, sondern dass die Leistungen im technischen oder organisatorischen Bereich einen gleich hohen oder höheren Schwierigkeitsgrad hatten.

Die Referenzleistung muss der ausgeschriebenen Leistung so weit ähneln, dass sie einen tragfähigen Rückschluss auf die Leistungsfähigkeit des Bieters für die ausgeschriebene Leistung eröffnet.

Dem öffentlichen Auftraggeber steht ein Beurteilungsspielraum zu, der von den Nachprüfungsinstanzen nur daraufhin überprüft werden kann,

  • ob das vorgeschriebene Verfahren eingehalten worden ist,
  • ob der Auftraggeber die von ihm selbst aufgestellten Bewertungsvorgaben beachtet hat,
  • der zugrunde gelegte Sachverhalt vollständig und zutreffend ermittelt worden ist,
  • keine sachwidrigen Erwägungen angestellt worden sind und
  • nicht gegen allgemeine Bewertungsgrundsätze verstoßen worden ist.

Dabei ist es von besonderer Relevanz, die Beurteilung der Eignung möglichst wettbewerbsoffen zu gestalten.

BayObLG, Beschluss v. 09.11.2021 – Verg 5/21; OLG Düsseldorf, Beschluss v. 27.04.2022 – Verg 25/21

Besonderheiten für Start-ups

Gerade für Start-ups können die Eignungskriterien eine unüberwindbare Voraussetzung darstellen. Insbesondere der Nachweis von vergleichbaren Referenzaufträgen oder langjähriger Erfahrung fällt jungen Unternehmen schwer. Genauso problematisch sind Anforderungen an den jährlichen Umsatz der letzten drei Geschäftsjahre oder der Nachweis von speziellen Zertifikaten.

Besonders für Startups relevante Aspekte sind:

  • § 45 Abs. 1 Nr. 1 darf der Auftraggeber einen bestimmten Mindestjahresumsatz der Höhe nach fordern. Dieser darf das Zweifache des geschätzten Auftragswertes in der Regel nicht überschreiten, eine Abweichung hiervon muss der Auftraggeber in den Vergabeunterlagen begründen.
  • Der Auftraggeber darf Umsatzzahlen nur für die letzten 3 Geschäftsjahre verlangen, allerdings mit der weiteren Einschränkung „sofern entsprechende Angaben verfügbar sind“. Im Einklang mit der zugrundeliegenden europäischen Richtlinie ist Unternehmen demnach die Möglichkeit zu geben, Nachweise jedenfalls nur für den Zeitraum seit ihrer Gründung bzw. Teilnahme am Wirtschaftsleben vorzulegen.
  • Als alternativer Nachweis für die wirtschaftliche und finanziellee Leistungsfähigkeit kommt für junge Unternehmen die Beibringung einer Berufs- oder Betriebshaftpflichtversicherung gem. § 45 Abs. 1 Nr. 3 VgV in Betracht. Ob ein bestimmter Nachweis durch einen anderen Nachweis ersetzt werden darf, muss jedoch im Vorfeld (vor Ablauf der Abgabefrist) mit dem Auftraggeber über eine Bieterfrage geklärt werden.
  • Soweit das Unternehmen noch keine eigenen Referenzen hat, besteht die Möglichkeit, persönliche Referenzen einzelner Mitarbeiter einzureichen, sofern dies durch den Auftraggeber ermöglicht wurde (siehe auch im Folgenden zur Zurechnung von Referenzen).

Zurechnung von Referenzen

Grundsätzlich kann die technische Leistungsfähigkeit nur durch Eigenleistung nachgewiesen werden. Allerdings ist bei freiberuflichen Leistungen zu berücksichtigen, dass diese personengebunden sind. Daher gilt nach der Rechtsprechung, dass ein Bewerber, der durch Neugründung, Verschmelzung oder Abspaltung aus einem Unternehmen hervorgegangen ist, das die Referenzen erarbeitet hat, sich auch auf diese Referenzen berufen kann, wenn er die gleichen Personen beschäftigt.

VK Südbayern, Beschluss v. 25.02.2021; Ebenso: VK Bund, Beschluss v. 27.01.22 – VK 2-137/21: Ausführendes Personal bzgl. IT- Wartung beruft sich nach Gründung eines neuen, eigenen Unternehmens auf Referenzen des vorgehenden Arbeitgebers

 

Im zweiten Teil des Blogartikels (April 2024) erfahren Sie das Neueste zur EEE, Präqualifikationssystemen, Besonderheiten bei zweistufigen Verfahren und was Auftraggeber nachfordern dürfen.

Autor

Aline Fritz berät, mit über 15 Jahren Erfahrung im Vergaberecht, sowohl die öffentliche Hand als auch Bieter in allen Phasen von Vergabeverfahren. Seit 2001 ist sie als Rechtsanwältin zugelassen und seit 2002 bei FPS in Frankfurt am Main tätig. Zuvor war sie Leiterin der Geschäftsstelle des forum vergabe e.V. beim BDI in Berlin. Aline Fritz hat umfassende Erfahrung in der Vertretung vor diversen Vergabekammern und Vergabesenaten der OLG. Sie hält regelmäßige Vorträge und Schulungen zum Vergaberecht und kann zahlreiche Publikationen von vergaberechtlichen Fachbeiträgen vorweisen. Homepage: https://fps-law.de/de/anwaelte-notare/aline-fritz.html/

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