Fachbeitrag

Nachträge am Bau: Das Ende der Urkalkulation?

Nachtragsansprüche sind am Bau alltäglich. Sie ergeben sich, wenn es Änderungswünsche des Bauherrn gibt oder für den Auftragnehmer unvorhersehbare Erschwernisse eintreten. Nachträge führen bei vielen Bauvorhaben zu Meinungsverschiedenheiten, die nicht selten in handfeste rechtliche Streitigkeiten münden. In den vergangenen Jahren hat sich dabei neues Streitpotential zur Berechnung der Nachtragshöhe entwickelt. 

Nachtragskalkulation: Was gilt bisher?

Seit Jahrzehnten gilt der Grundsatz „Guter Preis bleibt guter Preis und schlechter Preis bleibt schlechter Preis“. Nach diesem Grundsatz soll bei der Berechnung von Nachträgen die Urkalkulation des Auftragnehmers fortgeschrieben werden. Soweit möglich, sollen also alle Bestandteile der ursprünglichen Kalkulation – Kosten-, Leistungs-, Zeitansätze usw. – in die Nachtragskalkulation übernommen werden. Bei der Berechnung der Nachtragshöhe müssen demnach nur solche Preisbestandteile angepasst werden, welche durch die Nachtragsleistung betroffen sind. Auf diese Weise soll das Ziel erreicht werden, dass durch den Nachtrag ein ursprünglich „schlecht“ kalkulierter Preis nicht aufgebessert werden kann und umgekehrt. Der Grundsatz der Fortschreibung der Urkalkulation ergibt sich nach der Rechtsprechung dabei unmittelbar aus § 2 Abs. 5 VOB/B und aus § 2 Abs. 6 VOB/B, wonach die Grundlagen der Preisermittlung für den Nachtrag entscheidend sind. Diese sog. Fortschreibung der Urkalkulation befindet sich in einem Auflösungsprozess.  

Das ist neu! 

Der Bundesgerichtshof hat für die Preisanpassung bei Mengenmehrungen gemäß § 2 Abs. 3 VOB/B entschieden, dass der neue Preis bei Überschreitung der 110 %-Grenze nicht mehr durch eine kalkulatorische Fortschreibung zu ermitteln ist, sondern auf der Grundlage der tatsächlich erforderlichen Kosten zuzüglich angemessener Zuschläge für Allgemeine Geschäftskosten sowie für Wagnis und Gewinn (BGH, Urteile vom 8.8.2019 – VII ZR 34/18 und vom 21.11.2019 – VII ZR 10/19). 

Mengenmehrungen sind streng von Nachträgen zu unterscheiden. Anders als Nachträge setzen sie keinen Änderungswunsch des Auftraggebers und auch keine unvorhersehbaren Erschwernisse voraus. 

Bemerkenswert an diesen beiden BGH-Urteilen ist die Verwendung des identischen Wortlautes aus dem neuen § 650c BGB. § 650c BGB regelt die Preisbildung bei Nachträgen. Demnach soll es in erster Linie auch bei Nachträgen auf die tatsächlich erforderlichen Kosten ankommen. Die Regelung des neuen § 650c BGB gilt seit dem 1.1.2018. Sie wurde für Nachträge in den vergangenen drei Jahren durch die Praxis weitgehend ignoriert. Nach wie vor ist es üblich, die Geltung der VOB/B zu vereinbaren – und damit auch § 2 Abs. 5 und § 2 Abs. 6 VOB/B.  

Einige Oberlandesgerichte verabschieden sich nun auch bei Nachträgen von der Fortschreibung der Urkalkulation und wollen Nachträge auf Grundlage der tatsächlich erforderlichen Kosten gewähren (Kammergericht Berlin, OLG Düsseldorf, OLG Brandenburg, OLG Köln). Demnach komme es auch bei Nachträgen nach § 2 Abs. 5 und nach § 2 Abs. 6 VOB/B nicht auf eine Fortschreibung der Urkalkulation an. Vielmehr müsse ein Vergleich angestellt werden zwischen den tatsächlich erforderlichen Kosten für die ursprünglich vereinbarte Bauleistung auf der einen Seite und den tatsächlich erforderlichen Kosten für die Nachtragsleistung auf der anderen Seite. Es geht also nicht mehr um die kalkulierten Preise, sondern um die tatsächlichen Kosten („Selbstkostenerstattungsnachtrag“). 

Das Ziel ist klar:  

Durch diese Rechtsprechung soll die Spekulation auf Nachträge verhindert werden. Durch Nachträge soll es den Bauunternehmen eben nicht mehr möglich sein, zu niedrige Angebote aus der Vergabephase aufzubessern. 

Darauf sollte die Praxis vorbereitet sein: 

  • Neben ausreichend detaillierten Nachtrags- und Urkalkulationen können Bauunternehmen ihre Nachtragsansprüche auch durch eine sorgfältige Dokumentation der tatsächlich angefallenen Kosten für die Nachtragsleistung (Aufwand eigener Mitarbeiter, Nachunternehmerrechnungen, Lieferantenrechnungen, Mietkosten für Baugeräte usw.) nachweisen.  
  • Bauunternehmen sollten zukünftig „zweigleisig“ fahren: Sie sollten sich auf die Notwendigkeit der Fortschreibung der Urkalkulation bei Nachtragsleistungen einstellen und geleichzeitig darauf, die tatsächlichen Kosten nachweisen zu müssen. 
Autor

Volker Schmidt ist der Rechtsanwalt, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht , Fachanwalt für Verwaltungsrecht. Herr Schmidt, Jahrgang 1981, geboren in Großröhrsdorf (Sachsen), ist Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht und für Verwaltungsrecht. In diesen Rechtsgebieten vertritt und berät er öffentliche und private Auftraggeber, Bauunternehmen sowie Architektur- und Ingenieurbüros. Herr Schmidt ist Vorsitzender des Eintragungsausschusses der Architektenkammer Sachsen. Er veröffentlicht regelmäßig Beiträge zu verschiedenen Themen des Bau- und Architektenrechts. Herr Schmidt ist Mitarbeiter der Kommentierung zum Bauvertrag, zum Nachunternehmervertrag und zum Architektenvertrag in „Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke“ von F. Graf von Westphalen. In den vergangenen Jahren hat Herr Schmidt bundesweit über 300 Seminare zum Baurecht, zum Vergaberecht sowie zum Architekten- und Ingenieurrecht als Inhouse-Veranstaltungen und für diverse Seminaranbieter gehalten. Homepage: https://khg-dresden.com/

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