Bieterfragen im Vergabeverfahren – Unklarheiten in Ausschreibungsunterlagen
Fachbeitrag

In Einzelfällen sind Bieterfragen noch kurz vor Ablauf der Angebotsfrist zu beantworten!

Vergabestellen versuchen regelmäßig durch die Festsetzung von Fragefristen die teilnehmenden Bieter an einer Ausschreibung zu disziplinieren. Dies ist grundsätzlich zulässig und führt im Ergebnis dazu, dass Fragen, die nach Ablauf der festgesetzten Fragefrist eingehen, unbeantwortet bleiben.

Doch ist dieses Vorgehen immer zulässig? Nein!

Im Einzelfall sind Bieterfragen auch nach Ablauf der Fragefrist zu beantworten. Insbesondere dürfen vom Bieter in den Ausschreibungsunterlagen erkannte Unklarheiten, Widersprüche oder sonstige Fehler gegenüber der Vergabestelle jederzeit – also auch nach Ablauf der festgesetzten Fragefrist – kommuniziert werden. Die Vergabestelle ist in diesem Fall verpflichtet, eine Korrektur oder Klarstellung der Vergabeunterlagen vorzunehmen (VK Bund, Beschl. v. 28.01.2017 – VK 2-129/16).

Die Vergabestelle muss Antworten allen Bietern zur Verfügung stellen

Die Vergabestelle muss grundsätzlich Bieteröffentlichkeit herstellen. Das heißt, die gestellten Fragen sind gegenüber allen Bietern mittels Fragen-Antworten-Katalog zu kommunizieren. Dies gilt nach ständiger Rechtsprechung uneingeschränkt bei einer Korrektur oder Klarstellung der Vergabeunterlagen (VK Bund, Beschl. v. 28.01.2017 – VK 2-129/16; VK Sachsen, Beschl. v. 24.08.2016 – 1/SVK/017-16).

Exkurs: Nur in engen Ausnahmefällen darf eine Bieterfrage bilateral beantwortet werden, beispielweise bei Fragen, welche das individuelle Missverständnis eines Bieters betreffen oder bei der Beantwortung von bloßen Wiederholungen (jüngst erst VK Nordbayern, Beschl. v. 11.09.2024 – RMF-SG21-3194-9-18).

Wann hat die Vergabestelle die Angebotsfrist zu verlängern?

Bieter haben ein Recht darauf, die Leistungsbeschreibung richtig zu verstehen, um auf dieser Grundlage ein ordnungsgemäßes Angebot kalkulieren und einreichen zu können. Bedingt die Korrektur oder Klarstellung, dass die Bieter mehr Zeit benötigen, um die Angebotserstellung auf die neuen Informationen auszurichten, muss die Vergabestelle die Angebotsfrist angemessen verlängern. Dabei reicht es schon aus, dass ein Einfluss auf die Angebotserstellung nicht ausgeschlossen werden kann.

Ist eine Antwort mit Zusatzinformation hingegen unerheblich für die Angebotserstellung, hat die Vergabestelle sie zwar bekanntzumachen, muss aber die Angebotsfrist nicht verlängern.

Die Verlängerung der Angebotsfrist muss angemessen sein. Das ist der Fall, wenn

  • die Bieter erstens von der Korrektur oder Klarstellung Kenntnis nehmen können und
  • zweitens die Fristverlängerung eine sachgerechte Angebotsbearbeitung durch die Bieter ermöglicht.

(OLG München, Beschl. v. 25.03.2019 – Verg 10/18)

Handlungsempfehlung

Stellen Bieter keine Fragen, kann die eigene Interpretation der Vergabeunterlagen im Zweifel nicht dem Willen der Vergabestelle entsprechen. Die Folge könnte Angebotsausschluss sein. Diese Rechtsfolge ist vermeidbar.

Es gilt daher der Grundsatz: Ergeben sich Unklarheiten, Widersprüche oder sonstige Fehler im Zusammenhang mit den Ausschreibungsunterlagen, sollten Bieter innerhalb der festgesetzten Fragefrist entsprechende Bieterfragen stellen, um eine Korrektur oder Klarstellung der Vergabeunterlagen herbeizuführen. Nur so kann ein ordnungsgemäßes Angebot kalkuliert werden.

Selbst wenn die Fragefrist abgelaufen ist, sollten Bieter sich nicht scheuen, von ihrem Fragerecht Gebrauch zu machen. Denn Unklarheiten, Widersprüche oder sonstige Fehler sind auch nach Ablauf der festgesetzten Fragefrist seitens der Vergabestelle klarzustellen bzw. zu korrigieren.

Besteht im Einzelfall Streit darüber, ob die Bieterfrage zu beantworten ist – und ob in diesem Zusammenhang die Angebotsfrist verlängert werden muss –, steht Bietern die Möglichkeit der Rüge und bei einem angebotshindernden Zustand ebenfalls der Weg vor die Vergabenachprüfungsinstanzen offen.

Autor

Florian Krumenaker ist spezialisiert auf die Beratung im Vertrags- und Vergaberecht und begleitet sowohl öffentliche Auftraggeber als auch Bieter umfassend in komplexen Vergabeverfahren sowie in Vergabenachprüfungsverfahren.Florian Krumenaker studierte Rechtswissenschaften in Tübingen, Lausanne und Heidelberg sowie Wirtschaftsrecht an der Universität zu Köln (LL.M.). Seine Promotion absolvierte er im Bereich des europäischen und internationalen Vergaberechts.Florian Krumenaker ist seit 2018 als Rechtsanwalt bei Menold Bezler tätig. Seit 2021 ist er Fachanwalt für Vergaberecht. Seit 2025 ist er Partner in der Kanzlei. Homepage: https://www.menoldbezler.de/ansprechpartner/florian-krumenaker

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